Schumi und die zweite Runde

„Was ist denn in dich gefahren! Jetzt hast du alles versaut!“,

Bernie war sehr aufgebracht. Schumi schaute ihn verständnislos an. Er hatte nicht die geringste Ahnung was seinen Chef so aufbrachte. Noch immer wütend, klärte Bernie ihn auf:

„Du hast jetzt, für diese eine Runde, auf dem Punkt genau jene Zeitgebraucht, die ich dir als notwendig vorgegeben habe.“

Der Rennfahrer konnte noch immer nicht den Ärger seines Chefs erfassen:

„Ja, aber das ist doch Klasse! Ich habe mir alle Mühe gegeben, diese Zeit haargenau zu treffen.“

Er zeigte voller Stolz auf den Zeitmesser:

„Schau, akkurat fünf Nullen hinter dem Komma. Ich wollte die Zeit genau treffen. Es hat mich viel Kraft gekostet mich ständig zurückzuhalten und nicht einfach davon zu brausen.“

Die Röte im Gesicht des Rennstallleiters nahm noch eine Nuance zu:

„Bist du denn noch bei Sinnen? Du hast alles vermasselt! Diese Zeit war doch für zwei Runden vorgegeben. Wie willst du die Vorgaben jetzt noch schaffen? Das geht überhaupt nicht mehr! Wir sind draußen!“

Schumi wurde für einen ganz kurzen Augenblick etwas bleich um die Nase. Dann schaute er wieder, so ungewöhnlich, ja so siegesgewiss wie immer, Bernie an.

„Lass mich nur machen!“

Dann Schritt er in einen federleichten Gang zu seinem roten Flitzer. In aller Ruhe stülpte er sich seinen Helm über und fädelte sich ein, in die Kanzel seines Boliden. Er schloss in aller Ruhe seinen Helm und winkte dem verblüfft zuschauenden Chef und seinem Team noch einmal zu. Dann gab er Gas.

Für einen wirklich ganz kurzen Bruchteil einer Sekunde glaubten die Männer aus dem Team eine rote Wurst, entlang der Strecke ausmachen zu können. Es war mehr ein flüchtiger Eindruck, als ein wirkliches Sehen. Im selben Augenblick war es schon wieder verschwunden. Bernie konnte diesen Eindruck noch gar nicht richtig verarbeiten, als er, fast zur gleichen Zeit, von der Ziellinie her, ein infernalisches Kreischen von Bremsen hörte. Mit ihm, wendeten alle jäh ihren Blick in jene Richtung.

Dort sahen sie den gerade eben noch vor ihnen stehenden roten Renner, jetzt metallisch glänzend, seltsam gestaucht, ja fast schon platt wirkend. In einer mächtigen Wolke aus Qualm und Staub, offensichtlich vom Abrieb der Bremsen, schlitterte er hinter der Zielgeraden herum. Der Wagen schlingerte merklich und schien kaum gebändigt werden zu können. Es dauerte einen langen bangen Augenblick, doch dann kam der ehemals rote Flitzer wieder unter die Kontrolle des Piloten. Langsam fuhr der Bolide zur heimatlichen Box. Das wunderbare Rot, Merkmal dieses stolzen Rennstalles, muss durch eine wahnsinnige Hitze vollkommen verdampft worden sein.

Schumi verließ sein Gefährt, vorsichtig, immer darauf achtend nicht an die heißesten Teile seines Renners fassen zu müssen. Auch er wirkte irgendwie platt und zweidimensional. Aber er lächelte siegesgewiss:

„Und, wie ist meine Zeit?“

Alle schauten sofort auf die Start-Ziel-Uhr. Sie zeigte noch immer die alte Rundenzeit mit drei Nullstellen nach dem Komma an. Nur die um zwei Stellen genauere Technikuhr gab an der vierten und der fünften Stelle hinter dem Dezimalpunkt jeweils eine 9 an.

Bernie war erstaunt:

„Was hat das zu bedeuten?“

„Nun, in der Formel eins wird in tausendstel Sekunden gewertet. Ich brauchte auf dem drei Kilometer langen Kurs nur etwas schneller zu sein. Und siehe da, ich habe es geschafft. Buh das war ein höllischer Ritt, vielmehr hätte ich nicht ertragen können. Die Beschleunigung hat mich fast platt gemacht und die Bremsen haben den Wagen kaum halten können.“

Aber die Fahrt war sehr interessant. Zunächst verschwamm die ganze Umwelt in einem bunten Gemisch von Farben, das dann irgendwann nur noch blau erschien. Nur das schwarze Band der Straße lag deutlich vor mir. Aber die irrsinnige Geschwindigkeit des Wagens, der Tacho blieb bei etwas über 1% Licht stehen, ließ mich den Kurs nur noch Instinktiv steuern. Zum Glück war ich die erste Runde ja etwas langsamer gefahren. Dabei hat sich der Verlauf des Kurses sehr stark in meine Gehirnwindungen eingeprägt. Und durch die Zeitdilatation erschien mir alles auch gar nicht so schnell. Dennoch berührte ich in der Haarnadelkurve kurz den Bordstein. Das bremste mich ganz schön ab. Aber ich konnte auf der anschließenden Geraden noch einmal Beschleunigen. Das hat geholfen, ich holte die verlorene Zeit wieder rein.

Aber es war dennoch an der Grenze. Viel schneller hätte auch ich nicht fahren mögen. Zumal ich bereits in der ersten Beschleunigungsphase, in der Boxengasse, platt wie eine Flunder gedrückt wurde. Gottseidank musste ich in der kurzen Zeit während der Fahrt nicht atmen. Es wäre mir sehr schwergefallen.

Beim Bremsen fiel mir dann fast ein Auge aus seiner Höhle. Ich musste es mit einer Hand kurz zurückdrücken. Dabei kam der Wagen etwas ins Schlingern. Aber letzten Endes habe ich ihn unter Kontrolle halten können. Mann o Mann, das war wirklich kein schlechter Ritt!“

Bernie wusste nun nicht mehr, was er sagen sollte. Aber dann fiel ihm doch ein schlimmer Pferdefuß ein:

„Schumi, es war alles umsonst. Leider zählt die Zeit nicht. Du hast in der Boxengasse viel zu schnell beschleunigt. Deine Geschwindigkeit war viel zu hoch! Die haben dich bestimmt geblitzt. Damit bist du am Ende doch disqualifiziert.“

Schumi verlor sein Lächeln nicht:

„Ach mache dir darum keine Sorgen. Die Kamera löst mit zwei hundertstel Verzögerung aus. Als die zum Knipsen kam, war ich schon längst durch das Ziel gefahren.“

Diesen Einwand konnte auch Bernie sofort folgen. Voller Freude klopfte er seinem Star auf die Schultern. Dabei sprang die Figur des Rennfahrers mit einen leise Flopp in seine gewohnte Form zurück:

„Schumi, du bist einfach der Größte! Du bist der Gott der Formel Eins!“

 


Hintergrund der Geschichte:
Mich reizte die Denksportaufgabe: Wie schnell muss man eine zweite Runde fahren um eine gewisse Durchschnittsgeschwindigkeit zu erhalten, wenn man in der ersten Runde nur halb so schnell war, wie nötig. Die Antwort: Geht nicht, man hat ja die gesamte Zeit schon verbraucht. Schumi sei Dank, gibt es nun noch eine weitere Antwort.


3,5 Seiten