Mal auf Elsäs­sisch

„Hast du einen Vorschlag, was wir kochen könnten?“

Ich schaute zu Christiane hinüber. Sie blickte kurz auf und warf mir das Wort „Baeckeoffe“ hin.

Verwundert schüttelte ich den Kopf. Was hatte sie soeben gesagt? Ich habe nur Bäcker verstanden. Überrascht schaute ich sie an:

„Am zweiten Weihnachtstag kommen die Kampfesser meiner Familien zu uns. Die kannst du nicht mir irgendeiner Backware abspeisen. Die wollen Fleisch!“

Christiane lächelte mich an und hob beschwichtigend die Hände:

„Warte es ab. Ich habe hier schon die Zutaten aufgeschrieben. Wir können gleich Einkaufen gehen.“

So geschah es dann auch. Und gleich am Anfang des Supermarktes schienen meine schlimmsten Befürchtungen wahr zu werden:

6 Stangen Lauch
1,5kg Karotten
Ein Netz voller Zwiebeln
5kg Kartoffel
Und eine Knolle Knoblauch.

Bei so viel Gemüse ist doch gar kein Platz mehr für Fleisch vorhanden.

Als nächstes zog es sie in die Abteilung für Backzutaten. Dort kaufte sie ein Kilogramm Mehl. Also doch eine Backware für die Raubtiere. Hinter zum Metzger wird sie ja wohl nicht mehr gehen. Innerlich richtete ich mich schon auf ein viel zu gesundes Essen, ohne lebenswichtige Proteine ein. Aber dann das überraschende, sie steuerte tatsächlich auf das Fleischparadies zu. Aber ich bremste gleich meine zu hohen Erwartungen: Nun ja, bei dieser Menge Grünzeug braucht sie sicher ein bisschen Speck oder Dörrfleisch. Schnell hatte die Verkäuferin hinter der Theke meine Frau erspäht und nach ihren Wünschen gefragt. Meine bessere Hälfte legte los:
„Ich benötige etwa 1,8kg Schweinenacken, etwa 1,5kg Rindernacken und etwa 1,5kg Kalbfleisch.“

Dabei wandte sie sich an mich:

„Das Kalbfleisch ist nicht original. Aber du weißt ja, ich mag kein Lamm. Es wird auch so schmecken. Normalerweise gehört noch ein Schweinefuß hinein, aber den lasse ich auch weg. Dafür nehme ich etwas mehr Schweinefleisch.“

Dieser Einkauf wog sehr schwer. Aber die Vorfreude gab mir die Kraft ihn heim zu tragen. Ich wollte alles sofort in den Kühlschrank verstauen. Aber meine Frau wehrte energisch ab:

„Nein, wir müssen gleich mit den Vorbereitungen beginnen.“

„Aber wir haben doch noch zwei Tage Zeit.“

„Nein, nein, wir müssen jetzt gleich anfangen. Schäle du doch bitte zunächst die Kartoffeln und die Zwiebeln. Halt, nein, die Kartoffeln kommen erst kurz vor dem Kochen hinzu. Denn die können wir nicht einlegen, die werden sonst grau. Schäle nur die Zwiebeln. Dann schneide bitte das ganze Fleisch in kleine Würfel. So wie beim Gulasch, nur noch ein wenig kleiner. Ich werde derweil die Karotten putzen und in Scheiben schneiden. Ebenso den Lauch. Davon nehme ich aber möglichst nur das Weiße. Nun ja, ein wenig vom Hellgrünen darf schon dabei sein.“

Eine mühsame Arbeit begann. Die Aufträge wurden akkurat erledigt. Aber das Werk war noch lange nicht beendet:

„Jetzt schneide bitte die Zwiebeln in dünne Ringe. Ich werde in der Zwischenzeit die die Gewürze zusammensuchen. Auch muss ich den Knoblauch noch schneiden. Die Möhren, das Lauch und die Zwiebeln werde ich dann mischen. Dazu brauch ich noch etwas Thymian und ein paar Nelken und getrocknete Kräuter aus dem Garten. Der Knoblauch kommt auch zum Gemüse.“

Begeistert hörte ich den Ausführungen meiner Frau zu, während ich dir mir zugewiesene Arbeit beflissentlich ausführte. Nach Beendigung dieser Vorbereitungen, begann sie das Fleisch mit einem Teil des Gemüses zu vermengen und in zwei festverschließbare große Tupper-Schüsseln zu füllen.

„So, nun müssen wir diese Schüsseln mit Weißwein auffüllen. Wir haben ja noch den Riesling aus dem Elsass. Dann wird das Ganze fest verschlossen und zwei Tage stehen lassen. Damit alles besser marinieren kann, müssen wir die Schüssel des Öfteren drehen. Die Tupper-Deckel halten die Schüsseln dicht, wenn sie dann auf dem Kopf stehen.“

Wir hatten jedoch nur noch drei Flaschen vom edlen Riesling.

„Das reicht vorerst einmal. Wenn wir mehr benötigen nehmen wir halt noch etwas vom Rosé-Wein hinzu.“

Was für ein herrlicher Duft stieg mir nun in die Nase. Die Komposition der Gerüche des Fleisches, des Gemüses, des Weines und der Gewürze zogen in einer appetitanregenden Weise zwei Tage lang durch die Wohnung. Es war kaum zu erwarten, diese Speise zu genießen. Schon am Morgen des zweiten Weihnachtstages wurden die Gefäße in die Küche geholt.

Dort hatte Christiane schon zwei große Bräter vorbereitet während ich die Kartoffeln schälte und in dünnen Scheiben schnitt. Nun begann sie mit der Zubereitungszeremonie:

Zunächst nahm sie etwas Küchenpapier, versetzte etwas Margarine darauf und begann die Töpfe damit einzureiben. Anschließend begann sie den Boden der Bräter mit sich schuppenartig überlappenden Kartoffelscheiben auszukleiden – ebenso die Wände der Formen, wo die Kartoffelscheiben von der vorher aufgetragenen Margarine gehalten wurden. Dann schichtete sie etwas von der Mischung aus Zwiebeln, Lauch und Karotten drüber. Nun kam eine Schicht des eingelegten Fleisches hinzu. Sie drückte alles fest zusammen. Überall dazwischen gab sie angedrückte Wachholderbeeren und legte noch zwei bis drei Lorbeerblätter hinzu.

„Wichtig ist es, jede Schicht gut zu salzen und zu pfeffern.“,

wandte sie sich an mich um gleich mit der Arbeit fort zu fahren. Mit wachsendem Appetit sah ich zu, wie sie nun wieder das Gemüse schichtete, um anschließend das restliche Fleisch in die Formen füllte, bis der Inhalt knapp zum Rand reichte.

„Nun müssen wir das Ganze mit Wein auffüllen.“

„Klasse, und dann stellen wir es gleich in den Ofen?“

Ich eilte schon zum Herd.

„Aber nein, wir tun jetzt noch die letzte Lage Kartoffelscheiben auflegen, so dass alles damit bedeckt ist. Zuletzt legen wir noch ein paar Thymianzweige oben auf und schießen den Topf mit seinem Deckel. Die Kartoffeln können ruhig am Deckel etwas anbacken, das gibt dann eine köstliche Kruste. Zudem müssen wir die Töpfe noch verschließen.“

„Wie willst du sie denn verschließen?“

Christiane ging zur anderen Seite der langen Küchenarbeitsplatte. Dort hatte Sie bereits einen Teig aus Mehl, Salz und Wasser hergestellt. Diesen kneteten wir um die Bräter, so dass er die Deckel mit den Töpfen dicht verschloss. Nun war alles bereit. Auch der Backofen war schon auf 180°C vorgeheizt.

„Das Ganze muss jetzt für etwa 4 Stunden in die Röhre. Das Essen wird dann rechtzeitig fertig, wenn die Gäste kommen. Der Baeckeoffe wird in der Form serviert. Aber wir müssen vorher in der Küche den Teig, der nach dem Backen nicht mehr genießbar ist, abklopfen. Am Tisch gibt es unter Umständen zu viele Krümel.“

Noch einmal vier Stunden lang zog intensiv ein herrlicher Duft durch unser Domizil. Ein Blick in die Röhre verriet uns den Vorschritt beim Garen. Durch den verschießenden Teig drang ein feiner Schaum der erhitzten Flüssigkeit und kündete von der ausreichend hohen Temperatur im Kochgut.

Unsere Gäste konnten kommen. Sie erwartete ein, ihnen noch nicht bekanntes, herrliches Festmahl.

Voilà – bon appétit!

Aus den Erinnerungen meiner Schwiegermutter:

Einmal in der Woche hielten die Frauen von Straßburg ihren Waschtag ab. Dazu trafen sie sich am Waschplatz. Das war ein fröhliches Ereignis. Man sang, erzählte sich Geschichten oder tauschte sich über Neuigkeiten aus. An einem solchen Tag blieb nicht viel Zeit zum Kochen. Damit die Frauen trotzdem ihrer Familie ein Gericht auf den Tisch bringen konnten, wurde schon früh morgens der Baeckeoffe zubereitet und auf dem Weg zum Waschplatz beim Bäcker vorbeigebracht. Der schob es, nachdem er sein Brot fertig gebacken hatte, in den Ofen. So konnte diese Speise in der Restwärme des Ofens stundenlang vor sich hin köcheln. Auf dem Nachhauseweg holten die Frauen ihren Baeckeoffe dann wieder ab.

 


Hintergrund der Geschichte:
Autobiographisches Schreiben. Mal ein Blick in die eigene Küche


4,5 Seiten