Der kleine Engel Lukas

Frei erzählt nach der gleichnamigen Geschichte von Anneliese Kranzberger

Was war das für eine Aufregung, als ein Engel verkündete, dass Jesus geboren sei. Alle Engel liefen voller Freude durcheinander. Ein jeder umarmte den ihm am nächsten stehenden Engel und tanzte mit Ihm freudig im Himmel umher. Es war ein lustiges Hüpfen und Springen. Etliche gar sehr übermütige Engel schlugen sogar Saltos. Mancher schaffte zwei oder gar drei hintereinander. Und alle Engelschöre wollten dem Jesuskind huldigen. Ihm ein Halleluja singen.

Überall traf man sich und stimmte fröhlich einen Gesang an. Nur Lukas, ein kleiner, junger Engel, war zutiefst besorgt. Auch er wollte am Lobgesang teilnehmen, aber seine Stimme klang seit jeher wie eingetrocknete Ölschmiere. Daher hatte Lukas schlechte Laune, obwohl es doch eigentlich so viel Grund zur Freude gab.

„Ich muss üben, üben, üben! So kann ich dem Jesuskind meinen Gesang nicht darbieten.“,

entschloss er sich und zog sich etwas von den anderen Engeln zurück. Er räusperte sich, holte tief Luft und schon kam der erste krächzende Lobgesang über seine Lippen.

„Halleluja! Halleluja! Halleluja!“

Er erkannte die Fehlerhaftigkeit seines Gesanges selber. Seine Enttäuschung war groß. Aber er versuchte es immer wieder. Bis plötzlich ein anderer Engel genervt seinen Übungsgesang unterbrach.

„Lukas! Das ist ja nicht zum Aushalten. Dein Rabengekrächze geht einem ja durch Mark und Bein!“

„Aber ich muss doch üben! Ich will doch auch dem Jesuskind mit meinem Gesang eine Freude machen!“,

antwortete Lukas verzweifelt.

„Aber so geht das nicht!“,

und der Engel zog ihn am Ärmel zu sich heran und flüsterte ihm ins Ohr.

„Soll ich dir was verraten?“

Lukas nickte nur.

„Besorge dir etwas Mandelöl und gib es dann in wenig Wasser. Damit gurgle dreimal kräftig auf. Das wirkt Wunder!“

Froh über diesen guten Rat eilte Lukas davon und so wie der Engel es ihm gesagt hatte, tat es Lukas auch. Voller Hoffnung setzte er danach seine Gesangsprobe fort. Aber seine Stimme klang immer noch wie ein verrostetes Reibeisen.

„Es hat nichts geholfen! Was soll ich nur tun?“,

fragte er sich voller Verzweiflung. Er wollte am liebsten losweinen.

Wiederum ein anderer Engel hatte Lukas schon eine Zeit lang beobachtet und sah nun, sein immer mehr zum Weinen verzehrtes Gesicht. Auch er meinte ihm einen guten Rat geben zu können.

„Du musst heiße Milch mit viel süßem Bienenhonig und acht Tropfen Pfirsich-Öl trinken. Davon wird deine Stimme einen sanften, lieblichen Klang erhalten!“

Lukas tat wiederum, wie ihm nun dieser Engel geraten hatte. Er trank einen Becher, trank zwei Becher, und einen dritten Becher der empfohlenen Medizin. Es war eine sehr schmackhafte Medizin auch weil er wirklich viel, sehr viel, vom süßen Honig hineingetan hatte. Er hörte nicht auf sie einzunehmen. Am Ende hatte er sechs Becher Milch mit Honig und Pfirsich-Öl getrunken. Auch in der Hoffnung, seine Stimme würde danach klingen, wie feinste Geigenmusik. Aber nichts! Auch dieses Mal war alle Mühe vergeblich gewesen, seine Stimme klang weiterhin alt und müde.

Lukas saß nun da, am Wegesrand und war sehr, sehr traurig. Die anderen Engel machten sich schon auf den Weg nach Bethlehem. Er wollte doch auch dem Heiland seine Ehre erweisen. Auf dem Weg zum Stall kam aber ein weiterer Engel an Lukas vorbei und sah ihn so zerknirscht nach Bethlehem blicken.

„Lukas! Was ist los! Kommst du nicht mit?“

„Ich kann nicht! Mein scheußlicher Gesang würde den Heiland nur verärgern!“

„Was redest du da für einen Unsinn! Auch meine Stimme gehört nicht zu den Besten, aber das Kind in der Krippe wird es spüren, dass mein Gesang von Herzen kommt! Also komm jetzt, bevor es zu spät ist!“

Lukas hatte keine Zeit mehr für lange Überlegungen, denn der Engel zog ihn einfach mit zum Stall nach Bethlehem. Ganz nervös reihte er sich in die Schar der Engel ein. Dann begann der Engelchor zu singen. Und es war als ertönten alle Glocken dieser Welt in einem vollen, harmonischen Geläut. Und jede Stimme fand darin seinen Platz. Auch Lukas Gesang ergänzte den Chor in wundervoller Weise.

Sobald Engel Lukas das kleine Kind in der Krippe liegen sah, sang er voller Freunde, aus reinstem Herzen sein Halleluja. Und so erklang auch sein Lied in den Ohren des Jesuskindes einfach nur wunderschön.

Hintergrund:
Zum Vorlesen im Kindergarten für meine Enkelin Antonia