Was war das heute wieder für ein Tag. Mein Frust spülte mich jene unbekannte Straße dieser Stadt hinunter, in die mich ein, von mir zufällig ausgewählter Linienbus letztlich hinein verfrachtet hatte. Schwammige Bilder des Tages gingen mir durch den Kopf. Und es war mir, als würde ich den Rumms noch hören, der mich heimatlos gemacht hatte.
„Aus! Basta! Hier kommst du nicht mehr rein!“.
Mir schlugen die Worte wie gespieenes Feuer entgegen.
Dann hatte meine Frau die Tür zugeknallt und verriegelt.
Wie konnte es ihr nur so vollkommen egal sein, was nun aus mir werden sollte?
Triste graue Häuser blickten auf mich hinab. Verstanden sie meinen Schmerz? Ich schüttelte den Kopf, als ich diese ausdrucklosen, eintönigen Fassaden ansah. Nein! Hier herrscht nur Leere vor. Kein Mitleid, kein Verständnis. Die ganze Welt spielte gegen mich. Auch mein Chef hatte mich gefeuert. Einfach so.
Er könne mein Verhalten einfach nicht mehr dulden. Aber, was habe ich denn schon getan?
Ich war nicht zur Arbeit erschienen. Na und! Er hätte das anfallende Tagwerk doch auch allein schaffen können. So wie es ihm schon des Öfteren möglich gewesen war. Aber nein, plötzlich spielte er den Moralischen.
Mein Schritt stoppte unwillkürlich. Ich hatte das Ende der Straße erreicht. Sollte ich irgendwo einkehren? Ich schaute mich um. Jedoch entdeckte ich keine Kneipe. Nach links, als auch nach rechts erblicke ich die graue Landschaft einer gelangweilten Stadt. Selbst die Geschäfte scheinen vor Müßiggang verendet zu sein. Überall nur leere Schaufenster.
Nein hier war nichts zu finden, was mir meine trockene Kehle hätte wieder feucht machen können.
Vor meinen inneren Augen tanzte ein vor Kälte angelaufener Seidel, randvoll gefüllt mit dem herrlichen goldgelben Saft. Gekrönt von einer weißen Schaumblume, die so fest war, dass sie über den Rand des Glases hinaus zu stehen vermochte. Freudig erregt spülte Speichel meinem Mund. Aber es war nur ein Traum, der sogleich wie eine Seifenblase zerplatzte.
Daheim war der Kühlschrank vollgefüllt mit jenem herrlichen Mannesgetränk. Eiskalt. Flasche für Flasche nur darauf wartend, von mir getrunken zu werden. Und als Dank dafür, mich zu ergötzen.
Aber behüte! Davor stand ein fürchterlicher Drache, der diesen Schatz zu bewachen wusste. Oder hatte dieses Untier alles schon in die Gosse fließen lassen? So, wie sie es mir schon allzu oft angedroht hatte? Verschwendet, ohne dass dieser köstliche Saft jemals eine Kehle hätte laben können?
Es schüttelte mich bei diesem Gedanken.
Mit einem Male bemerkte ich, dass ich fror. Jetzt erst wurde ich gewahr, dass ich, nur im bloßen Hemd und einer dünnen Strickjacke bekleidet, die Straße entlang wandelte. Und das im späten Herbst. Ich schlang meine Arme fest um mich und bildete mir ein, sie würden mich wärmen. Dann löste ich den Griff und im Takt meiner mich immer wieder umschlingenden Arme, schritt ich voran. Ständig Ausschau haltend nach einem warmen Ort, an dem ein geselliger Wirt seine Gäste freundlich zu begrüßten wusste. Aber diese Stadt schien keinen so heimseligen Ort in sich zu bergen.
Waren die Menschen hier ausgestorben? Oder schlimmer noch: waren am Ende alle Männer von ihren daheim wütenden Furien vertrieben worden. Vertrieben, ohne im schmutzigen Asphalt dieser Stadt Spuren hinterlassen zu haben?
Ich zitterte vor Erregung. Aber auch, da ich nun wirklich einen Trank hätte vertragen können. Nicht mal einer jener kleinen Läden, die sonst überall in den Städten dieses Landes späte Kunden zum Kaufen einluden, war hier auszumachen. Kein Kiosk, keine Tankstelle.
Plötzlich stockte ich. Ein fürchterlicher Gedanke lies mich geradewegs eiskalt erstarren. Hatte ich denn irgendwelche Mittel zum Bezahlen von Irgendetwas dabei? Erschrocken fuhr meine Hand in die Gesäßtasche. Die Finger spürten wie gewohnt das Leder des Portemonnaies. Unwillkürlich atmete ich auf. Wenn ich mich recht erinnerte, war ich gestern erst auf der Bank gewesen. Also musste ich wohl noch einen ganzen Batzen Geld bei mir tragen.
Doch schon kamen Zweifel auf. Ich kannte mich. Hatte ich gestern Abend alles wieder ausgegeben? Wie es so manches Mal, im geselligen Kreis, gleichgesinnter Kumpane, schon vorgekommen war. Der Zweifel verdichtete sich zu einer Ahnung. In meinem Bauch entstand eine Unruhe, als wenn tausende kleiner Käfer einen Marathonlauf veranstalten würden.
Fest umschlossen die Finger die Börse und zogen sie langsam heraus. Die Käfer gingen in den Endspurt über. Zittrige Finger öffneten die Geldtasche und durchsuchten sie. Die Augen erfassten fürchterliches: Dort, wo ich hätte erwarten können, dass ein Schein neben dem anderen zu stecken hatte, schaute mich einzig ein blanker Fünfer an. Auch im Kleingeldfach klingelte es nur sehr müde.
Neben meinem ganzen Reichtum in Form dieser allzu mickrigen Geldnote, hatte es sich eine blütenweise Quittung gemütlich gemacht. Von gestern. Vom Bankautomaten. Zweihundert Euro stach mir, darauf geschrieben, entgegen. Stehend für das vom Automaten erhaltene Geld, welches eine ganze Woche unseren Haushalt hätte versorgen sollen. Wo war nur die ganze Penunze hin? Es stellte sich bei mir nicht die geringste Erinnerung ein.
Verstört schaute ich in die Ferne, wo mein Blick vom großen Turm des Stadttores eingefangen wurde. Wenigstens eine Sehenswürdigkeit in dieser Stadt, an der man an sonnigen Tagen auch mal Touristen sehen konnte. Aber diese knipsten nur wild um sich rum, setzten sich dann wieder in ihren Bus und ließen sich irgendwo anders hin befördern. Dorthin, wo sie ein Mittagsmahl einnehmen konnten. Sie kannten wohl diese Stadt, die auch ich nur so selten betreten hatte.
Aber in meinen Erinnerungen erschien dort, an der Ecke, eine kleine Bankfiale. Deren Geldautomat sicher in der Lage wäre, mich wieder mit jenen Mitteln zu versorgen, die für ein festliches Trinkmahl nötig waren.
Langsam setzte ich mich dorthin in Bewegung. Tatsächlich. Weggeduckt und in dieser nicht enden vollenden, schmucklosen Häuserzeile, kaum zu bemerken, winkte mir die Quelle des Geldes erfrischend zu und lud zur Erquickung ein. Meine Karte öffnete mir die Tür zum sprudelnden Born.
Majestätisch stand jener Automat in der kleinen Vorhalle zur Bank und lud mich ein, ihm meine Wünsche mitzuteilen. Aber alles war nur Trug. Diese hungrige Maschine fraß meine Karte. Mit der höhnischen Bemerkung:
„Diese Karte wurde als gestohlen gemeldet und ist gesperrt. Keine Auszahlung möglich! Die Karte wird eingezogen!“,
Als hätte mich dieser unverschämte Automat mitten ins Gesicht geschlagen, erstarrte ich eine scheinbare Ewigkeit, in all meinen Bewegungen.
„Gestohlen gemeldet?“, brüllte ich den unverschämten Blechschrank an.
Dann stieg eine unbändige Wut in mir auf. Innerlich wäre ich bereit gewesen, jemanden zu erwürgen. Aber würgen half bei diesem Kasten nichts. Stattdessen ließ ich meine Fäuste im Stakkato auf die Maschine einschlagen. Aber es erzeugte nur Krach und zudem Schmerzen in meinen Händen.
Der Automat selbst reagierte mit stoischer Ruhe. Der Bildschirm schaltete um und zeigte nunmehr das Logo dieser unbarmherzigen Bank, die es nicht vermochte, die Nöte ihrer Kunden wahrzunehmen. Mutlos verließ ich diesen engen Schalterraum, der mir die Luft zum Atmen zu nehmen schien.
Auf der Straße empfing mich die frische Kühle dieser beginnenden Nacht. Ich wollte nachdenken. Doch merkte ich, wie mein Schädel langsam anfing zu brummen. Irgendeine unsichtbare Hand steckte kleine Nadeln in meine Kopfhaut. Alle Gedanken wurden von diesem stechenden Schmerz angezogen. Ich versuchte den Kopf etwas zu schütteln um klarer zu werden. Aber in aufbrausender Weise unterband der Schmerz jede weitere heftige Bewegung meines Hauptes. Ich bräuchte jetzt unbedingt etwas zum Trinken.
Kurz überlegte ich heimzukehren. Mich demütig auf den Knien zu werfen, um vor meiner Frau um Vergebung zu betteln. Für das, was auch immer ich in den Augen meiner Angetrauten getan haben mag. Aber in dem Augenblick, in dem dieser Gedanke aufkam, war ich auch schon von seiner Nutzlosigkeit überzeug. Auf diesem Wege würde ich nicht weiterkommen können! Noch nicht!
Gab es einen Freund, der mich bei sich aufnehmen könnte? Schnell wurde mir bewusst: Nein, ich hatte keine Freunde. Nur jene Kumpels, deren Namen ich kaum zu nennen wusste, die ich immer wieder einmal bei einem freundlichen Wirt traf.
„Verdammt, ich habe Durst!“
Ungehört hallte dieser verzweifelte Ruf durch die leeren Straßen.
Hier am Stadttor musste es doch etwas geben. Irgendeine billige Kneipe, in der ich wenigstens ein Bier bekommen könnte. Aber wo?
Ich begann langsam zu kreisen, um dann immer schneller werdend, um meine eigene Achse zu rotieren. Oder begann die Welt, sich um mich zu drehen? Mir wurde Übel vom aufkommenden Schwindel. Verzweifelt stampfte ich mit meinem Fuß auf das Pflaster und wäre fast umgerissen worden, vom eigenen Schwung. Mühsam gelang es mir, meine Balance wiederzufinden. Ein älteres Ehepaar war auf der anderen Straßenseite gerade um eine Ecke gekommen und hatten mich dabei beobachtet, wie ich so mühsam meine Haltung wiederfand. Als sich unsere Blicke kurz trafen, schüttelte der Ehegatte tadelnd den Kopf. „Völlig betrunken! Schon um diese Zeit! Komm, der macht sonst nur Ärger!“. Dann zog er sie ein wenig zu sich und sie beeilten sich, Abstand zu gewinnen. Wahrlich, das konnte nur ein Ehepaar gewesen sein. Ihr Blick war allzu herrisch. Da war nichts Verliebtes drin. „Ja, macht euch nur weg, wenn ihr kein Mitleid habt. Auch ihr werdet einmal Durst haben und keiner wird euch ein Glas reichen!“, rief ich ihnen voller Hohn nach. Sie wollten es nicht hören. Gingen, mit sturem Blick nach vorne, weiter und verschwanden, hinter einem vorbeifahrenden Bus, auf verborgen gebliebenem Wege, für immer aus meinem Blick.
Aber ich war ein kleines Stückchen die Straße hinunter getaumelt und befand mich nun an einer vorher nicht bemerkten Straßenecke. Dort konnte ich neue Wege erkennen.
Doch auch diese Straßen waren so trist und öde, wie alle anderen auch. Selbst die Straßenlampen schienen nur widerwillig ihr Licht abgeben zu wollen. Für wen sollten sie auch leuchten. Stellt doch euren Dienst ein und geht schlafen. Wie es wohl all die Menschen dieser Stadt auch taten.
Ich musste weiter. Die Richtung war egal. Noch etwas benommen von meiner Pirouette, ging ich unsicher meines Weges. Langsam wurden mir meine Beine weich. Zum ersten Mal bemerkte ich, dass mir nicht nur die flüssige Nahrung fehlte.
Die Straße entlang, weiter unten, erreichte ich, zu meiner Linken, eine Fußgängerzone. Wenn nicht hier, wo dann? Aber auch hier herrschte gähnende Leere. Die kunstvoll gestalteten Leuchter, die offenbar von einer besseren Zeit dieser Stadt zeugen wollten, zeigten ihre Kunst für lau. Niemand war da, sie zu bewundern.
Weiter hinten hörte ich ein Rauschen. Wasser? Meine Schritte beschleunigten sich.
„Wo es Wasser gibt, gibt es auch Leben!“
Ein ausufernder Platz öffnete sich vor mir. Er wurde von einem riesigen kaskadenartigen Brunnen beherrscht. Aber so sehr ich meinen Blick auch schweifen ließ, auch hier gab es keine Kneipe. Soll ich jetzt Wasser trinken? Ich bekam einen ganz lahmen Geschmack im Mund und schüttelte mich. Lieber verdurste ich!
Hier gab es aber tatsächlich etwas Leben. Ein heimliches Pärchen saß eng umschlungen, innig vertieft in die eigenen Blicke. Ein wenig rieb man sich mit der Nase und immer wieder gab es einen kleinen zärtlichen Kuss. Doch dann plötzlich riss ihr Augenkontakt und sie bemerkten meine Anwesenheit. Noch immer eng umschlungen, starrten sie zu mir hinüber. Ein kurzes heimliches Flüstern des Mädchens gab das Signal zum Aufbruch. Sie verzogen sich mit eiligen Schritten, Hand in Hand, in die nächste dunkle Gasse.
Einen Moment war ich gerührt von der Romantik dieser Situation. Das erinnerte mich an meinem eigenen Jungsein. Doch dann musste ich bitter in mich hineinlachen. Das Leben spielte immer die gleichen Muster. Der Jüngling musste gewarnt werden:
„Junge, nimm dich in Acht. Auch ich saß einmal, zweisam, an so einem Brunnen. Daher warne ich dich! Aus diesen lieblichen Geschöpfen, die du jetzt so gerne zu liebkosen wünschst, werden einstmals zornige Drachen.“
Der Drachen kam mit einer verzweifelten Lautstärke aus meinem Munde, dass er noch eine ganze Weile nachzuhallen schien. Aber ob dieser junge Mann in seiner Verliebtheit meine Warnung überhaupt wahrgenommen hat? Ich bezweifelte es. Mich umgab wieder die Ruhe dieser geisterhaften Stadt.
Müde geworden vom ganzen Umherirren, setzte ich mich an den Rand des Brunnens. Wie von selbst tauchten meine Hände in das Wasser, bildeten eine Kelle und führten eine kleine Menge des kühlen Nass zu meinen Lippen. Gierig spülte ich mir meinen trockenen Mund. Nur hinunterschlucken vermochte ich dieses Labsal nicht. Ich spie es wieder zurück in den Brunnen. Wäre dieser Brunnen doch nur mit etwas trinkbaren gefüllt.
Gedankenverloren starrte ich auf das sich immer stärker kräuselnde Wasser. Gleichzeitig merkte ich auch den stärker werdenden Luftzug, der durch die Häuserschluchten wehte. Es fröstelte mich. Ich zog meine Jacke eng um mich und bildete mir ein, dass es mir wärmer wurde. Mit einem Male bemerkte ich etwas blinken. Verwundert starrte ich in den Brunnen. Das Licht der Laternen ließ immer wieder etwas aufblitzen. Münzen. Auf dem Grund des Brunnens waren unzählige Münzen verstreut. Ein Wunder. Ein Geschenk des Himmels. Wie in dem Märchen mit dem kleinen Mädchen. Keine Ahnung wie die Geschichte hieß. Aber auch da sorgte die Vorsehung für den Reichtum des armen Kindes.
Auch wenn ich nicht an Märchen glaubte, noch nie geglaubt habe. Dieses Geld lag für mich da. Ganz sicher. Ich dankte der Vorsehung, die mir bisher noch nie etwas bedeutet hatte. Gierig griff ich nach jeder Münze die in meiner Reichweite lagen. Es waren nur wenige. Der Brunnen war so tief, dass ich bis zum Ellenbogen ins Wasser greifen musste. So konnte ich nicht weit genug einsammeln. Es half nichts. Ich musste ins Wasser steigen. Es war recht kalt, aber bald nahm ich nichts mehr wahr, von der klirrenden Eiseskälte, die meine Füße schmerzen ließ.
Voller Eifer sammelte ich alle Münzen auf, deren ich habhaft werden konnte. Und es waren eine ganze Menge. Nicht nur von den ganz kleinen. Ich war im Rausch eines Goldgräbers vor seiner ergiebigen Ader wertvollen Erzes. Meine Sinne waren nur auf den Grund des Brunnens gerichtet. Durch mein Agieren wurde das Wasser jedoch so unruhig, dass es immer schwieriger wurde weitere Münzen zu erkennen.
Plötzlich war da ein hüsteln hinter mir. Es riss mich aus meinem Tun, wie ein Gongschlag der zum Essen rief. Erschrocken fuhr ich herum.
Vor mir standen zwei Herren, in Blau gekleidet. Mit einer Würde, wie sie nur von der Ordnungsmacht ausgestrahlt werden konnte. Sie registrierten meine Aufmerksamkeit und der offensichtlich ältere der beiden Herren hielt sofort eine strenge Ansprache:
„Was machen sie dort im Brunnen. Kommen sie bitte sofort heraus!“
Einen Moment zu lange unschlüssig, schaute ich abwechselnd auf die gerade entdeckte große Münze und zu den beiden Herren am Brunnenrand.
„Na wird es bald? Kommen sie da raus!“
Der scheinbar Jüngere trat mit einem Fuß auf den Brunnenrand und deutete mit einem deutlich energischen Wink seine Ungeduld an. Es dauerte noch einen kleinen Moment, bis sich der Knoten in meinem Magen gelöst hatte. Bevor die Herren noch strenger wurden, beschwichtigte ich sie:
„Ich komme ja schon!“
Ich warf einen letzten Blick auf den halben Euro, der nun auf dem Brunnenboden liegen bleiben musste und stapfte zögerlich auf die beiden Herren zu. Bei jedem Schritt klimperte es schwer in meinem Hosensäckel. Am Rand des künstlichen Gewässers angekommen, bemerkte ich wie nass meine Beinkleider geworden waren. Es gelang mir nicht auf Anhieb, den Brunnen zu entsteigen. Der nahestehende Beamte musste mir eine hilfreiche Hand reichen. Das Wasser trätschte nur so an mir herab. Meine Schuhe quietschten vor Nässe. Und dann spürte ich auch diese unbarmherzige Kälte wieder, die mich schon die ganze Zeit umgeben hatte. Ich fing fürchterlich an zu frieren. Offensichtlich jammerte mein Zustand nun doch die beiden Beamten und sie wurden etwas leiser im Ton:
„Was haben sie da im Brunnen zu suchen gehabt?“, sprachen sie mich etwas milder an.
Sehr eingeschüchtert Stand ich vor den Herren Ordnungshüter und konnte nur stammeln:
„Aber das Geld. Ich habe Durst. Die Bank will mir auch keines geben. Und daheim meine Frau, der Drachen. Die Tür hat sie zugeschmissen. Ich habe Durst. Und Hunger. Das Geld im Brunnen. Ich habe doch keines mehr. Wie im Märchen, mit dem kleinen Kind, wissen Sie. Das hatte dann ja auch genug. Der Himmel hatte es ihr gegeben. Wie mir jetzt auch! Ich musste es nur aufsammeln. Dann kann ich etwas Essen und Trinken. Ich habe Hunger und Durst.“
„Langsam, langsam! Das Geld im Brunnen gehört Ihnen nicht! Das müssen sie zurückgeben! Sofort! Dann werden wir zu unserem Auto gehen und sie werden ihr nasses Zeug ausziehen. Sie bekommen ein paar Decken von uns, damit können sie sich warmhalten. Dann sehen wir weiter. Aber sie werden eine Anzeige bekommen!“
„Ich soll das Geld wieder zurückwerfen? In den Brunnen? Aber ich habe es doch aufgesammelt. Es gehört doch niemanden!“
„Es gehört der Stadt. Werfen Sie es bitte wieder zurück! Sofort!“
Völlig fassungslos starrte ich in die strengen Mienen der Herren. Da war keine erbarmen zu erkennen. Ich wand mich also zu den Brunnen um und stieg auf dessen Rand. Zögerlich kehrte ich die Hosentaschen nach außen, sodass alle Münzen wieder im Wasser plumpsten. Zufrieden sahen die Polizisten zu.
„So, nun gehen wir zu unseren Wagen. Sie ziehen das nasse Zeug aus und hüllen sich warm ein. Dann werden wir ihre Personalien aufnehmen. Anschließend bringen wir sie heim!“
„Ich habe kein Zuhause mehr. Dort herrscht ein fürchterlicher Drachen. Der hat mich aus meiner Wohnung hinausgeschmissen. Ich weiß nicht, wo ich hingehe soll. Ich bin müde, habe Hunger und Durst.“
Die Beamten blickten sich ratlos an, zuckten dann kurz mit den Achseln und der ältere wandte sich an mich:
„Wissen sie was? Wir bringen sie jetzt auf die Wache. Dort bekommen sie eine gemütliche Zelle für sich allein. Außerdem eine Mahlzeit und etwas Warmes zu Trinken. Morgen werden wir uns dann um ihren Drachen kümmern. Wahrlich, wir haben schon so manches Untier gezähmt.“
Hintergrund zu der Geschichte:
Im Schreibatelier gab uns die Leiterin ein beliebiges, aus der Luft gegriffenes Stichwort (Blauer Vogel). Wir sollten unsere Gedanken dazu laufen lassen und diese direkt aufschreiben. Dadurch sollten wir uns in eine Geschichte hineinschreiben. Ich ließ im Gedanken einfach jenen Mann durch eine Stadt laufen, wie ich sie während eines Urlaubs, gerade erst erlebt hatte. Diese Tristesse in der Stadt. Läden waren geschlossen. In der Fußgängerzone fuhren mehr Autos, als Menschen unterwegs waren. Und wir fanden tatsächlich keine Speisestätte, selbst keinen Imbiss für ein sehr einfaches Mittagessen. Wir mussten tatsächlich in die Stadt zurückfahren, in der wir unsere Unterkunft hatten.
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