Der Schlaf

Zum wiederholten Male wälzte ich mich auf die andere Seite. Noch immer lag ich wach im Bett. Der Wecker raste unaufhörlich seiner Zeit entgegen. Morgen musste ich wieder früh raus. Ich konnte den Tag einfach nicht loslassen. Und der Schlaf wollte nicht kommen.

„Schlaf wo bleibst du?“

rief ich mit lautem Gedanken, verzweifelt in die Dunkelheit hinein.

Unerwartet bekam ich eine Antwort:

„Ich bin doch schon da. Was willst du denn?“

Erschrocken fuhr ich hoch. Ein sanftes, gelbes Licht erleuchtete mit einem Male schwach den Raum.

Ein kindlich aussehender, wie ein Harlekin gekleideter, spitznasiger Mann saß auf der Kommode am Fußende meines Bettes. Seine Beine waren auf mein Schlaflager abgestellt. An seinem vielfarbigen Kostüm, das von einer ebenso bunten Mütze, mit mehreren Zipfeln gekrönt wurde, tönten ständig kleine Schellen. Denn er machte unentwegt irgendwelche kleine, hektische Bewegungen.

Erstaunt vermeinte ich die Gerüche des vergangenen Tages wahr nehmen zu können: Autoabgase, Lösungsmittel aus dem Labor, aber auch den Duft frisch gemähten Grases.

„Wer bist du? Was willst du hier?“,

fragte ich aufgebracht.

„Was ich hier will? Nichts will ich hier! Du hast mich doch gerufen. Was willst du von mir?“,

antwortete er mir, mit seiner leicht schrillen, aufgeregten Stimme.

Jetzt wurde ich aber zornig:

„Ich habe dich gerufen? Niemanden habe ich gerufen! Ich will einfach nur schlafen! Also störe mich nicht!“,

Er lachte schrill auf:

„Ah, na siehst du! Du hast mich also doch gerufen!“

„Wieso soll ich dich gerufen haben? Und höre endlich auf, mit deinen hektischen Geklingeln. Du machst mich ja noch ganz kirre!“

„Aber! Aber! Die Hektik kommt doch allein aus dir heraus. Ich bin das nicht. Ich sitze ganz ruhig hier.“,

ertönte es plötzlich, mit einer ruhigen Stimme neben mir im Bett. Ich wand mich um. Dort saß ein gleichsam spitznasiger Mann im Schneidersitz und mit vor der Brust verschränkten Armen. Direkt im Bett meiner, sich warm eingekuschelten, tiefschlafenden Frau.

Nein, schlimmer noch! Er saß geradewohl auf meinem, auf der Seite liegenden Weibe. Geradeso wie auf einer Bank. Dabei hob und senkte sich sein Körper im Atemrhythmus der Schlafenden. Erneut stieg Empörung in mir auf. Aber meine Frau schien sich nicht daran zu stören. Irgendwie lag in der gleichmäßigen Bewegung meines Gegenübers etwas Beruhigendes.

Dieser Mann war jung, und hatte klare hellblaue Augen, die eine seltsame Ruhe ausströmten. Er war dezenter gekleidet als der Andere. Eher wie der kleine Muck aus dem Märchen von Hauff. Er trug ein orientalisches Kostüm und große Schnabelschuhe an seinen Füssen. Ein sanftes rotes Licht, wie das der untergehenden Sonne, schien hinter ihm zu schimmern. Der Hauch exotischer Spezereien stieg in meine Nase. Und der Duft, frisch aufgebrühten Pfefferminztees. Leise glaubte ich im Hintergrund das Stimmengewirr eines arabischen Bazars vernehmen zu können. Ich schaute zurück zur Kommode. Dort war niemand mehr.

„Warum störst du meinen Schlaf?“,

fuhr ich ihn an.

„Du hast doch gar nicht geschlafen. Deshalb hast du mich doch gerufen. Warum kannst du denn nicht schlafen?“

Das kam mir gerade recht:

„Weil ein alberner Clown mich dabei stört!“

„Aber ich störe deinen Schlaf doch überhaupt nicht. Im Gegenteil, ich möchte, dass du zur Ruhe kommst.“

Resigniert zuckte ich mit den Schultern:

„Wie soll ich denn zur Ruhe kommen. Ständig geht mir dieser Tag durch den Kopf.

Es war nichts Besonderes. Aber während des Tages hatte ich mich über irgendetwas geärgert. Daraufhin habe ich falsch reagiert und mich vor allen Kollegen zum Affen gemacht. Wie soll ich diese Blamage denn jemals wieder vergessen machen?“

Er schüttelte aufmunternd sein Haupt:

„Aber! Aber! Aber! Die Blamage findet doch nur in deinem Kopf statt. Nur du denkst noch dran. Die Anderen haben das Ereignis doch schon längst vergessen. Wenn sie es überhaupt bemerkt haben.“

Geradeso einfach, wie er es darstellte, konnte ich die Sache nicht abtun:

„So wie das Ding in der Firma gelaufen ist, ist da nichts vergessen. Das haben doch alle mitbekommen.“

Eine verwerfende Handbewegung begleitete seine Antwort:

„Ach was! Deine Kollegen haben dich gesehen, wie du immer bist. Mit deinen Eigenarten, deinen Reaktionen und deinen Stärken und Schwächen. Für sie hast du wie immer reagiert. Nicht anders. Und sie kennen und respektieren dich genauso, auch wenn du mal eine Laune zeigst.“

„Das sagst du so einfach!“

„Nein! Es ist so! Ganz bestimmt!“,

ertönte es nun mit ruhigem, sanftem Bass neben meinem Bett. Dort saß er im bequemen Lehnstuhl. Ein reifer Mann, mit einem vollen dunklen Bart, der das ganze Gesicht umschloss. Eine Nickelbrille mit runden Gläsern saß auf seiner spitzen Nase. Begleitet war er mit einem schwarzen Talar.

Seine Hände lagen gefaltet in seinem Schoss und führten einen Rosenkranz mit scheinbar unendlich vielen Perlen durch die Finger.

Das Licht einer Öllampe brannte sachte im Hintergrund. Es lag ein sanfter, angenehmer Duft von Petroleum, aber auch von Äpfeln und Nüssen in der Luft.

Ich hörte ihn leise Murmeln.

„Sprichst du auch ein Gebet für mich?“

Er schaute mich einen Augenblick lang ganz ruhig an, dann lächelte er:

„Ich bete für alle Menschen, die das Gebet kennen. Und ich trage ihre Gebete durch die Nacht.“

Sein Blick wurde fürsorglicher:

„Komm nun endlich zur Ruhe.“

„Wie soll ich denn zur Ruhe kommen? Es zehrt noch immer alles an mir.“

„Beginne zu Träumen!“

Noch einmal brauste ich auf:

„Zum Träumen müsste ich ja wohl erst einmal einschlafen!“

Er lachte sanft auf:

„Nein! Man kann auch im Wachen träumen.“

Verwundert schaute ich den Weißhaarigen an. Bekleidet mit seiner braunen Mönchskutte war er im schwachen Licht der Kerze kaum zu erkennen. Ich ahnte mehr, als dass ich es sah, dass er es sich im Stuhl bequem gemacht hatte. Seine Füße schienen auf die Kante meines Bettes hoch gelegt zu sein.
Seine Brille war ihn etwas von der spitzen Nase gerutscht. Es schien, als finge er an zu schlafen. Ganz schwach nahm ich den Duft alter Möbel wahr. Der Raum war angefüllt von seinem leisen, gleichmäßigen Atmen.

„Ich weiß nicht! Von was sollen ich denn träumen?“

„Von was möchtest du denn träumen? Erzähle es mir doch einmal!“,

forderte mich seine etwas verschlafene, sonore Stimme auf.

Unsicher sah ich den Mann an. Mir schien, als wolle er durchsichtig werden. Das Licht der Kerze wurde immer schwächer. Alle Düfte vergingen. Dann entspannte ich mich und horchte im mich hinein. Zögernd begann ich die Geschichte zu erzählen, die gerade in mir heraufstieg:

„Nur wenige Sterne zieren

das schwarze Tuch des Himmels.

Ich fliege mit meinem Raumschiff

schneller, als das Licht.

Vor mir taucht

das rot-lodernde Licht

einer fremden Sonne auf.

…Das… rote…,

…das… Licht …,

… ….“

 


Hintergrund der Geschichte: Eine beliebige Geschichte über das Einschlafen oder den Schlaf schreiben


5 Seiten